Gute Kommunikation ist immer Ursache, nicht Wirkung. Hinter dieser These verbirgt sich eine Methode, die auf den ersten Blick befremdlich erscheinen mag. Doch tatsächlich lohnt es sich in der strategischen Kommunikation, vom gelernten „zuerst Ursache, dann Wirkung“ Abstand zu nehmen.

Schaut man sich erfolgreiche Führungskräfte an, dann denken und handeln sie oftmals vom zu erreichenden Ziel her. Sie schauen sich also den Zustand an, den sie erreichen wollen. Erst danach überlegen sie, welche Ursache erzeugt werden soll.

Wenden Führungskräfte in ihrer Kommunikation diese Herangehensweise an, dann wird manchmal der Vorwurf laut, dies sei berechnend oder gar manipulativ – nicht authentisch. Allerdings, Führungskräfte haben nicht die Aufgabe, authentisch zu sein. Sie sollen rollen-authentisch sein, sie sollen führen, bestärken und Orientierung geben. Sie sollen per Definition Wirkungen erzielen und Ursache sein.

 

Das Zauberwort heißt Rollen-Authentizität

Ein Beispiel verdeutlicht dies. Stellen Sie sich vor: Sie sind in einem Haus gefangen, es brennt und die Flammen schlagen hoch. Ein Feuerwehrmann kommt zu Ihnen, um Sie zu retten.

Wäre der Feuerwehrmann authentisch, dann würde er seine Aufregung zeigen. Vielleicht müsste er dann sagen, dass die Chancen schlecht stehen, aus dem Feuer sicher zu entkommen. Sie würden sich aufregen, gegebenenfalls sogar panisch werden. Das alles wäre nun wirklich nicht zielführend und dürfte letztendlich im Chaos enden. Zudem könnte ein solches Vorgehen die Chancen einer Rettung drastisch minimieren.

Doch welches Verhalten sollte der Feuerwehrmann bei Ihnen für eine erfolgreiche Rettung erzeugen? Und wie wahrscheinlich ist es, dass Sie sich dann auch so verhalten werden? Nach Beantwortung dieser zwei Fragen können Sie relativ einfach die zentrale Frage beantworten: Welches Verhalten sollte der Feuerwehrmann an den Tag legen, um erfolgreich zu sein?

 

Von Kindesbeinen an gelernt: Erst Ursache, dann Wirkung

Zuerst kommt die Ursache, dann die Wirkung! Ein Glas wird umgeschmissen, es scheppert und klirrt und am Ende folgt vielleicht auch noch ein Schrei. Diese einfache Perspektive findet oftmals auch dann Verwendung, wenn wir über Kommunikation sprechen. Weil wir meist zuerst von der Ursache und dann der Wirkung sprechen, scheint das folgende Beispiel auf den ersten Blick daher Sinn zu machen: „Wir schreiben alle Beteiligten an, dann wissen sie Bescheid“. Es wird nicht definiert, wie der Zustand der Zielgruppe nach der Maßnahme sein soll oder was genau erreicht werden soll. Irgendwie klingt es klar und logisch – so wird es gemacht. Im beruflichen Alltag dürfte das sogar okay sein.

Geht es allerdings um grundlegendere und komplexere Zusammenhänge, beispielsweise Krisenkommunikation, exzellente Führung oder um die Positionierung einer Marke, dann lohnt sich oftmals die umgekehrte Herangehensweise. Denn durch eine klare Vorstellung, wie eine gewünschte Wirkung aussehen soll, steigt das Verständnis für die Situation der Zielgruppe. Zustimmungen und Widerstände sind, wenn man sich mit der gewünschten Reaktion vorab befasst, wesentlich präsenter.

Der erste Schritt: Die (zu erzielende) Wirkung definieren

Je präziser und realistischer die Wirkung gezeichnet ist, umso besser lassen sich später erfolgversprechende Ursachen finden. Daher wäre eine platt formulierte Wirkung „Zielgruppe kauft Produkt“ nicht zielführend. Vielleicht würde eine erfolgreiche Wirkung lauten, dass die Zielgruppe den Wunsch verspürt, etwas testen zu wollen. Oder sie soll sich aufregen, ein schlechtes Gewissen haben oder sehr vorsichtig sein. Am Ende stehen dann vielleicht ein, zwei oder drei gewünschte Wirkungen, die als wahrscheinlich und vielversprechend angesehen werden können.

Ein Beispiel aus der Praxis gefällig? Auch hier fange ich zuerst mit der gewünschten Wirkung an. Im Jahr 1991 waren wir im Begriff, aus der Marke „Frankfurter Wertpapierbörse“ die Marke „Deutsche Börse“ zu formen. Allerdings empfanden viele Ministerpräsidenten im föderalen Deutschland es als schick, eine eigene Börse im Bundesland zu haben. Es bestand das Risiko der Zersplitterung der Märkte bzw. der Liquidität.

Daher formulierten wir als gewünschte Wirkung: Sämtlichen relevanten Beteiligten ist ohne Zweifel klar, dass Frankfurt der wichtigste Handelsplatz in Deutschland ist. Gleichzeitig entsteht nie der Eindruck von Eigenlob oder „die haben es nötig, dies zu betonen“. Eine clevere Ursache (Auflösung weiter unten) wurde im nächsten Schritt gefunden.

 

Der zweite Schritt: Was kann die Ursache sein?

Sobald die gewünschte Wirkung als realistische Annahme formuliert ist, kann der zweite Schritt getan werden. Welcher Ursache bedarf es für die Wirkung? Welche Maßnahme ist dabei zielführend und welche eher nicht? Geht man so vor, lässt man quasi die Zeit rückwärts ablaufen. Von der Wirkung geht es zurück zur kommunikativen Ursache.

Welche Ursache wurde für die Deutsche Börse als gewünschte Wirkung gefunden? Nun, es wurde das Wort „Regionalbörsen“ erfunden und zügig in allen Kommunikationskanälen genutzt. Es erzielte genau die vorher definierte Wirkung. Sucht man in Google nach dem Wort „Regionalbörse“, dann erhält man selbst heute noch 640.000 Treffer. In das online Lexikon Wikipedia hat es der Begriff mittlerweile auch geschafft.

Ich kann nur jeden ermuntern, der komplexe kommunikative Prozesse steuern muss, die Methode einmal auszuprobieren. Schließlich öffnet diese Herangehensweise den Blick, lenkt unsere Konzentration auf die Welt der Zielgruppen und was dort bewirkt werden kann. Wenn das Zielszenario mit seinen Wahrscheinlichkeiten gut eingeschätzt wird, dann ist es zudem einfacher, die notwendigen und passenden Ursachen festzulegen. Geht man umgekehrt heran, dann macht man sich viele Gedanken über mögliche Maßnahmen und projiziert ihre Wirkung meist zu ungenau in die Zukunft.

 

Ian McEwan bringt es auf den Punkt

In dem Buch „Maschinen wie ich“ nimmt der Autor Ian McEwan diese Herangehensweise auf. Über Entscheidungen, die die Ursache als Quelle sieht, formuliert er es wunderbar treffend:

We’d be in the realm of Bayesian inverse probability. We’d be looking for the probable cause of an effect rather than the most likely effect of a cause.

Wir bewegen uns also auf dem Gebiet der umgekehrten oder bayesianischen Wahrscheinlichkeit. Wir suchen nach der wahrscheinlichen Ursache einer Wirkung – statt nach den wahrscheinlichsten Wirkungen einer Ursache.

Na, darüber kann man doch mal nachdenken.