Da war sie wieder, die 7-38-55-Regel. Es sei wichtiger mit welcher Stimme man etwas sagt (38 Prozent), als was man sagt (7 Prozent) und 55 Prozent der Wirkung erzeugt die Mimik. Aber ist das nicht nur in einem Fall richtig?
In einer Ausarbeitung zum Thema Präsentation konnte ich kürzlich erneut von der 7-38-55-Regel lesen. Aber kann es wirklich sein, dass die 7-38-55-Regel wirklich so angewandt werden kann, dass letztendlich 93 Prozent der kommunikativen Wirkung durch die non-verbale Kommunikation passiert? Wenn Herr Lohse beim Metzger Senf bestellt oder ein Manager die Bilanz erläutert, dann müssten doch eigentlich Worte einen viel entscheidenderen Anteil an der Kommunikation haben.
Lassen Sie uns kurz innehalten und nachdenken. Herr Lohse könnte in einer Kombination aus Grunzen und Fingerzeig durchaus ein Gläschen Senf bestellen. Aber eine differenzierte Bestellung – vielleicht mit Rabattverhandlungen – wäre nicht möglich. Es wird also schnell deutlich, dass das so nicht stimmen kann. Das sagt auch der Erfinder der 7-38-55-Formel Albert Mehrabian. Er fühlt sich noch heute „offensichtlich unwohl“, wenn die Ergebnisse seiner Untersuchung so laienhaft gedeutet werden.
Auch Trapatoni nutzte Worte
Selbst die Kritik von Herrn Trapatoni über die Leistung einiger Spieler – mit viel Drama in der Stimme und noch mehr Gestik – ist letztendlich auch nicht ohne Worte ausgekommen. Redewendungen (und das sind nun einmal Worte) wie „ich habe fertig“ oder „schwach wie eine Flasche leer“ haben es sogar in den deutschen Sprachgebrauch geschafft.
Ein Wort, eine Mimik, eine Stimmlage
Wie kam es denn eigentlich zur 7-38-55-Regel? Mehrabian hatte im Jahr 1971 die Wirkung einzelner Wörter untersucht. Und zwar solche, mit denen sich positive Gefühle verbinden, dann Worte, die eine neutrale Wirkung haben und solche, mit denen sich negative Gefühle verbinden.
Entscheidend war bei den Experimenten, dass es um die widersprüchliche Aussage, zum Beispiel eines positiven Wortes zu einer negativen Mimik ging. Die Probanden wurden dann gefragt, wie sie bei diesen Widersprüchen zwischen gesprochenem Wort und Stimme bzw. Stimme und Mimik eine Aussage bewerten.
Etwas Gutes hat es doch
Die fehlinterpretierte Kürzung ist also völliger Unsinn und wird dennoch munter von Kommunikationstrainern und Beratern weitergegeben. Trotzdem können Sie aus diesem Experiment etwas mitnehmen: Zuhörer und Zuschauer tendieren dazu, nach der Kongruenz von Aussage, Körpersprache und Stimme zu suchen. Bei Unstimmigkeiten kommt dem Inhalt der Worte anscheinend nicht so viel Gewicht zu. Dann wird vielmehr eher auf Mimik und Stimme geschaut. Und sollten Sie einmal von einem Kommunikationstrainer oder Berater die 7-38-55-Regel hören, dann können Sie ihn „qualitativ“ gut einordnen.
40 Jahre falsch wiedergegeben
Natürlich ist somit auch die Kurzform Unsinn, es käme mit 93 Prozent in der Kommunikation nicht auf Worte an. Aber, es gibt eine Kommunikation, bei der die 7-38-55-Regel zumindest teilweise angewandt werden kann: Aus Sicht eines Hundes könnte die 7-38-55-Regel durchaus Realität sein.
Seit Rotkäppchen wissen wir: Das Gesagte ist nur ein Teil der Wahrheit. Genau hinschauen kann lebenswichtig sein! Der Wolf steckt oft im Outfit der netten Großmutter und die Wahrheit manchmal mehr in dem, was wir sehen (wenn wir richtig hinsehen), als in dem, was wir hören.
Eine Anregung, wieder einmal ins alte Märchenbuch zu schauen, denn es offenbart so manche Kommunikationsweisheit auf sehr anschauliche Weise.