Für Unternehmen, die heute Menschen zielgenau erreichen möchten, sind soziale Medien wie Leberwurst für Hunde. Doch in diesem Marketinghimmel liegt – ähnlich wie bei übermäßigem Wurstverzehr – Segen und Fluch eng beieinander.

Bonny Frantz

Heute möchte ich an meinen letzten Blogbeitrag „Die fragmentierte Wirklichkeit“ anknüpfen. Mir geht es um die zentrale Aussage: „Soziale Medien werden heute hauptsächlich dazu genutzt, damit Menschen Bestätigung erhalten“. Für jede Art der Lebenseinstellung, Weltanschauung und auch jegliche inhaltliche Interpretationen finden Menschen heute Bestätigung. Hunde können sprechen? Kein Problem – bitte sehr! Denk Dir etwas Absurdes aus – Du wirst die Bestätigung dafür im Netz finden.

„Wie kann man nur?“ mag man nun sagen. Alles ungebildete Menschen? Wenn die Bestätigung eines Sachverhaltes für einen Menschen eine fast schon essenzielle Bedeutung hat, ist dies nicht unbedingt ein Thema der Bildung. Das zeigt ein schönes Experiment:

Ein herrliches Experiment
Zwei Psychiater werden in getrennten Räumen in gleicher Art und Weise gebrieft: „Sie begegnen gleich einem Mann. Er denkt er sei ein Psychiater. Bitte erstellen Sie ein Gutachten über diesen Mann.“ Dann werden beide Psychiater in einen Raum geführt und aufeinander losgelassen. Verhielt sich ein Mann wie ein Psychiater, dann spielte er nach Auffassung des anderen Mannes seine Rolle schon fast zu gut. Zeigte das Gegenüber kein rollenadäquates Verhalten, dann wurde dies als entlarvender Beweis gesehen. Am Ende waren sich beide Psychiater in der Diagnose sicher: Das Gegenüber war ein Aufschneider!

Ich schau Dir in die Daten, Kleines!
Nun, ich könnte fast wetten, viele geneigte Leser sind der Meinung, Eva hätte im Paradies den Apfel vom Baum gepflückt, Einstein sei ein schlechter Schüler gewesen, der Rhein münde in die Nordsee oder im Märchen küsse die Prinzessin den Frosch. Alles falsch – aber die meisten Leser können mit dieser „Korrektur des Wissens“ leben, weil es für sie nicht so wichtig sein dürfte.

Hat man aber in sozialen Medien eine nahezu monostrukturelle Follower-Gruppe gewonnen, dann ist die Chance sehr hoch, dass diese Gruppe auch in vielen weiteren Bereichen ähnliche Lebenseinstellungen und Inhalte teilt. Diese Übereinstimmungen könnten zudem für viele der Follower recht essenziell sein. Hier kommt die Zielgruppen-DNA ins Spiel.

Was ist Zielgruppen-DNA?
Ich definiere Zielgruppen-DNA als eine Mischung aus verschiedenen Interessen, Realitäten und Einstellungen. Jemand der beispielsweise gesund leben möchte, trinkt vielleicht auch gerne Tee oder Veganer werden sich tendenziell eher für Tierschutz einsetzen. Generieren sich Unternehmen nun Follower die sich alle stark ähneln, erhöhen sie damit auch die Chance, dass es an Stellen die ihnen gar nicht bekannt sind, ebenfalls zu sehr hohen Übereinstimmungen kommt. Verhält sich das Unternehmen aus Sicht der Follower in einer dieser unbekannten DNA-Teile nicht adäquat, kann dies heftige Reaktionen zur Folge haben. Es geht hier also nicht nur um Big Data alleine, sondern um hohe Übereinstimmungen in Lebensbereichen der Zielgruppen, die für ein Unternehmen auf den ersten Blick gar nicht relevant oder sichtbar sind.

Ein schönes Beispiel verdeutlicht das. Eine Konsumentin öffnet den Beutel eines Lipton Tees und fischt dort „Würmer“ heraus. Sie unterstreicht es mit der Tatsache, dass das Haltbarkeitsdatum noch lange nicht abgelaufen ist und sie stellt ein Video ins Internet.

In Windeseile wurde das Video über 50.000 Mal geteilt. Der hohe Teilfaktor gleich zu Beginn dürfte auch an einer hohen Übereinstimmung des Zielgruppen DNA-Strangs „gesunde Lebenseinstellung“ gelegen haben. Zudem konnte jede Person, die einen solchen Teebeutel öffnete, zum gleichen Ergebnis kommen. Dank einer klaren und präzisen Kommunikation konnte Lipton schnell klarstellen, dass es sich nicht um „Würmer“ sondern um „Lemon Flavor Pieces“ handelte.

Reputation: Ohne Verständnis bleibt Verunsicherung und Risiko
Betrachten wir unsere Zielgruppe aus Sicht des Reputationsmanagements, dann ist natürlich klar, dass Manipulation von Auto-Schadstoffsoftware genauso schädlich für die Reputation ist, wie die rüde Inkompetenz an der Hotline eines Kabelbetreibers. Aber darum geht es hier nicht. Denn was in den anderen Feldern der Zielgruppen-DNA passiert, steht oftmals gar nicht im Fokus von Marketingspezialisten und Kommunikatoren – mal abgesehen von stereotypischen Punkten wie Tee & Gesundheit, etc.. Man bekommt es schlichtweg nicht mit. Schließlich geht es im Alltag um produktrelevante Kommunikation. Ob Kundengruppen anderweitig Wert auf Dinge legen, kommt hier kaum vor. Google, Facebook & Co. helfen hier wenig; schließlich öffnen die Betreiber von sozialen Medien ihr Wissen über das Gesamtprofil von Kunden nicht, sondern zeigen den Unternehmen immer nur einzelne Perspektiven.

So wäre jetzt eigentlich die alte Tugend des guten Kaufmanns gefragt. Er, der die Besonderheiten und Vorlieben seiner Kunden kennt und in Einklang bringen kann. Ich bin fest davon überzeugt, dass auf kurz oder lang kein Weg daran vorbeiführt, die wirklich essenziellen Ansichten der Kunden zu kennen, auch wenn sie keine Produktrelevanz haben. Viel könnte man in einer qualitativ ausgereiften Interaktion mit Kunden in Erfahrung bringen. Aber solange Manager kaum Kontakt zu Kunden haben und Call Center Kundeninteraktionen abwickeln, wird das relevante Wissen um den Kunden nicht wachsen. Dabei kann sich die Beziehung zwischen Kunden und Unternehmen wesentlich verbessern, wenn man von Unternehmensseite die Interaktion richtig versteht, wie TNS Infratest aufzeigt.

Nachtrag: Für den vielleicht etwas an den Haaren herbeigezogenen Vergleich von „soziale Medien sind für Unternehmen so etwas wie Leberwurst für Hunde“: Ich wollte meiner Hundefreundin Bonny auch einmal die Chance geben, in diesem Blog zu erscheinen – nachdem sie ja schon für meine Mandanten in so vielen nationalen und internationalen Zeitungen abgedruckt wurde.